Nachgefragt – Halbzeit in der aktuellen Legislatur: Wie sehen führende Wirtschaftswissenschafter*innen die Energiewende?

Liebe ENERGIETAGE-Community,

die aktuelle Legislatur geht in die zweite Hälfte – auch mit dem zentralen Projekt ENERGIEWENDE: Ist das Glas halbvoll oder halbleer? Befinden wir uns weiter auf dem Aufstieg oder auf abschüssigen Pfaden?

Die Antworten auf diese Fragen sind sicherlich individuell sehr vielfältig. Es ist jedenfalls kein gradliniger Weg, den die Energiewende in Deutschland nimmt!

Eine zentrale Beurteilungsdimension sind die wirtschaftlichen Implikationen, die sich in Deutschland mit der Energiewende verbinden: Energiepreise, Außenpolitik, Energiesicherheit, soziale Fragen…

In der Halbzeitpause hat das ENERGIETAGE-Team renommierte Wirtschaftswissenschaftler*innen für Sie um ihre Einschätzungen gebeten.

Eine ertragreiche Lektüre wünscht Ihnen

Jürgen Pöschk
Initiator und Hauptveranstalter ENERGIETAGE

Die Antworten im Detail

Prof. Dr. Michael Hüther – Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft

  "Zwei Jahre Energie- und Klimapolitik der Ampelregierung: Ihre Kurzbilanz?"

Die Ampelkoalition hat einiges angeschoben, was jahrelang nicht vorankam: schnellerer Erneuerbaren-Ausbau durch das Osterpaket, im Ergebnis mehr Klarheit durch das Gebäudeenergiegesetz und der Anschluss der LNG-Terminals in erstaunlicher Geschwindigkeit. Das kommunikative Hickhack und das Fehlen einer erkennbaren Strategie führen jedoch zu großer Unsicherheit und bedrohen die Wettbewerbsfähigkeit.

  "Der größte energiepolitische Fehler in der bisherigen Legislatur?"

Eine höhere Priorität für das Abschalten funktionsfähiger Kraftwerke als für den Ausbau von Wind- und PV-Anlagen sowie der für die Versorgungssicherheit entscheidenden Netze und Speicher erhöht in Kombination mit dem Ende der günstigen russischen Gaslieferungen die Energiekosten der nächsten Jahre.

  "Welche zwei Projekte muss die Ampel bis zur nächsten Bundestagswahl in jedem Fall umgesetzt haben?"

Die Bundesregierung muss 1. beim Strom am besten bereits in den nächsten Wochen mit klar definierten Instrumenten kurz- und mittelfristig für einen wettbewerbsfähigen Strompreis sorgen und 2. beim Grünen Wasserstoff mit regulatorischer Klarheit und verbindlichen Energiepartnerschaften die Weichen für den tatsächlichen Hochlauf der geplanten Importe in den 2030er Jahren stellen.

  "Grundsätzlich: Akzeptanzverlust, populistische Verrohung der Energie- und Klimadebatten, Ukrainekrieg, IRA in den USA etc .: Welche Konsequenzen für die Energiewende in Deutschland? ... beschleunigen, Halbzeitpause oder was?"

Was Habeck noch bei den LNG-Importen gelungen ist, ging beim „Heizungsgesetz“ komplett schief: authentische und ehrliche Kommunikation auch über bevorstehende Belastungen, politischer Diskurs nicht ausschließlich in den Medien und ein nachvollziehbarer Fahrplan: das schafft Vertrauen und setzt die richtigen Anreize für die dringend benötigten Investitionen der privaten Haushalte und Unternehmen.

Prof. Kathrine von Graevenitz, PhD – stellvertretende Leiterin des ZEW-Forschungsbereichs „Umwelt- und Klimaökonomik"

  "Zwei Jahre Energie- und Klimapolitik der Ampelregierung: Ihre Kurzbilanz?"

Trotz einer schwierigen außen- und energiepolitischen Lage kommt die Energiewende durch ambitionierte Ziele und zahlreiche Initiativen in Schwung. Leider ist eine klare Richtung nicht immer erkennbar gewesen. Die Glaubwürdigkeit der gesamten Regierung hat auf Grund der Kommunikationsprobleme innerhalb der Ampel gelitten.

  "Der größte energiepolitische Fehler in der bisherigen Legislatur?"

Der Konflikt um das Gebäudeenergiegesetz stellt den vielleicht gravierendsten Fehler in der energiepolitischen Agenda dieser Legislaturperiode dar. Die finale Version erweist sich als abgespeckte Variante, und eine Erhöhung des CO2-Preises, um die notwendigen Anreize für klimafreundliches Heizen beizubehalten, bleibt bisher aus. In der Energiekrise letztes Jahr wurde der CO2-Preis im nationalen Emissionshandel sogar gesenkt. Wir brauchen verlässliche und eher steigende Preispfade, um Unsicherheiten zu reduzieren und Anreize für Investitionen zu schaffen.

  "Welche zwei Projekte muss die Ampel bis zur nächsten Bundestagswahl in jedem Fall umgesetzt haben?"

Die Einführung eines Klimageldes ist überfällig, um Entlastungen effektiv unter Bürgerinnen und Bürgern zu verteilen. So lässt sich die Akzeptanz der Energiewende steigern, ohne dabei die Anreize für Emissionsreduktionen zu schwächen. Auf diese Weise ließen sich auch die nachteiligen Verteilungseffekte der Klimapolitik angehen. Vom Industriestrompreis sollte die Ampel-Regierung dagegen absehen. Er schafft die falschen Anreize. Stattdessen sollten Maßnahmen wie Bürokratieabbau, Digitalisierung und Infrastrukturinvestitionen zum Beispiel für Netzausbau umgesetzt werden, welche die Wirtschaft in der Breite unterstützen.

  "Grundsätzlich: Akzeptanzverlust, populistische Verrohung der Energie- und Klimadebatten, Ukrainekrieg, IRA in den USA etc .: Welche Konsequenzen für die Energiewende in Deutschland? ... beschleunigen, Halbzeitpause oder was?"

Es ist entscheidend, eine konsequente Energie- und Klimapolitik zu führen und regulatorische Unsicherheiten zu vermeiden. Deshalb auf gar keinen Fall „Halbzeitpause“. Wir müssen aus dem Krisenmodus raus und nicht mehr auf Sicht fahren. Es müssen Fragen beantwortet werden, die über die nächsten 1-2 Jahre hinausgehen: Was passiert mit dem nationalen Emissionshandelssystem nach 2026? Wie geht es mit dem Strommarktdesign weiter?

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